Silvia Gingold aus Kassel zieht vors Bundesverfassungsgericht. Sie will erreichen, dass der Verfassungsschutz sie nicht weiter beobachtet. Ist die 77-jährige Ex-Lehrerin und Antifaschistin wirklich eine Gefahr für den Staat? Was macht es mit einem, wenn Menschen aus dem direkten Umfeld persönliche Informationen an den Staat tragen – und das womöglich jahrzehntelang? Silvia Gingold blättert durch einen prall gefüllten Aktenordner. Viele Wörter auf den Seiten sind geschwärzt. Trotzdem enthalten sie zahlreiche Informationen über ihre Person, gesammelt vom Landesamt für Verfassungsschutz Hessen (LfV Hessen).   Die Tatsache, dass mutmaßlich Vertrauliches aus persönlichen Gesprächen, aus ihrem engsten Lebensbereich weitergegeben wurde, habe sie sehr verstört und irritiert, sagt Gingold. Trotzdem weigere sie sich, sich davon beeindrucken zu lassen und im eigenen Umfeld Misstrauen zu säen. “Ich lasse mich davon nicht einschüchtern.” (…) Silvia Gingold ist nach eigenen Angaben seit 2009 im Bereich Linksextremismus gespeichert. Das habe der Verfassungsschutz ihr auf Nachfrage bestätigt. (…) Ihre Eltern Peter und Ettie Gingold waren Kommunisten, wie sie selbst auch. Am Tag des KPD-Verbots habe es eine Hausdurchsuchung bei ihrer Familie gegeben, erinnert sich Gingold, “da war ich zehn Jahre alt”. Der Konflikt mit dem Staat ist nichts Neues für die Rentnerin, er ziehe sich wie ein roter Faden durch ihre Familiengeschichte. “Es ist nicht erkennbar, in welcher Weise sie eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung darstellen soll”, meint Anwalt Jäckel. Gingold habe in ihrem ganzen Leben immer das gelebt, was jetzt das Motto der großen Demonstrationen auf den Straßen sei: ‘Nie wieder. Das ist jetzt’.  Mit dem Gang vors Bundesverfassungsgericht will der Anwalt für seine Mandantin erreichen, dass die Beobachtung eingestellt und die über sie gesammelten Daten gelöscht werden. Sowohl die Beobachtung durch den Verfassungsschutz als auch den gesamten Inhalt der Personenakte hält er für rechtswidrig. Der Verfassungsschutz ordnet Gingold auch deshalb dem linksextremistischen Spektrum zu, weil sie Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) ist. Gingolds Vater hatte die Vereinigung 1947 mitbegründet. Bis ins hohe Alter sei er einer der Bundessprecher gewesen, sagt Anwalt Jäckel. Er sieht seine Mandantin “in diese Familientradition hinein- und aufgewachsen”. (…) Als Lehrerin für Französisch und Gesellschaftslehre war Gingold in den 1970er Jahren vom sogenannten Radikalenerlass betroffen. Demnach sollten “Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten”, aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. Gingold wurde für ein Jahr aus dem Schuldienst entlassen und nach Protesten wieder eingestellt – allerdings nie verbeamtet. Das empört sie bis heute – auch weil der erwiesenermaßen rechtsextreme Thüringer AfD-Chef Björn Höcke den Beamtenstatus nach wie vor innehabe: “Ein Herr Höcke, der durch seine Äußerungen, seine volksverhetzenden Reden, Rassismus und Antisemitismus schon mehrfach gegen das Grundgesetz verstoßen hat, ist nach wie vor Beamter”. Höcke hatte bis 2014 an der Rhenanus-Schule in Bad Sooden-Allendorf (Werra-Meißner) unterrichtet.

via hessenschau: Ex-Lehrerin, Friedensaktivistin, Antifaschistin Ist diese Rentnerin aus Kassel eine Gefahr für den Staat?

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