Im Prozess um die Auto-Attacke am Rande einer AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg gab der Angeklagte sich harmlos. Überzeugend war das nicht. Vor fast drei Jahren fuhr ein damals 19-Jähriger am Rand einer AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg mit einem Pick-up in eine Gegendemonstration, mehrere Menschen wurden verletzt. Am Kieler Landgericht begann am Montag, begleitet von einer Kundgebung vor dem Gebäude, der Prozess. Der heute 22-jährige Melvin S. erklärte die Tat als Folge einer „Panik“ und Angst vor den Demonstrierenden. Für die Opfer ist das nicht glaubwürdig. „Ich bin wortwörtlich in Todesangst um mein Leben gerannt“, sagte eine der Betroffenen bei der Kundgebung vor dem Gericht. Im Saal gehörte die Bühne an diesem Tag dem Angeklagten. Die Staatsanwalt wirft ihm versuchten Totschlag vor: Als er mit rund 25 bis 35 Stundenkilometern „ungebremst“ in die Personengruppe gefahren sei, habe er absichtlich den „Zusammenstoß als Folge seines Handels in Kauf genommen“ und Leib und Leben gefährdet. Dabei wurde einer der Betroffenen beiseite geschleudert und an Hals und Lendenwirbelsäule verletzt, die übrigen erlitten teils multiple Prellungen, Abschürfungen und weitere Verletzungen. (…) Doch durch die genauen und ruhigen Nachfragen der Richterin Maja Borrmann bekam dieses weichgezeichnete Bild mehr und mehr Risse. Ziel der Aktion sei gewesen, „Zecken zu glotzen“? „Kann sein, dass das meine Wortwahl war.“ Melvin S. hatte ein Getränk dabei, das er als „eine Art Fanta“ bezeichnete – tatsächlich war es eine so genannte „Reichsbrause“, die er online beim Shop des ehemaligen NPD-Aktivisten Tommy Frenck bestellt habe, weil es „lustig sei“. Guter Draht zu Nazis Mit Frenck gab es offenbar auch eine Kommunikation am Tag der Tat. Einer seiner Freunde habe einen Lonsdale-Pullover getragen – ja, er habe „schon gewusst, dass Rechte so etwas tragen“, sagte S. Und ja, er selbst habe möglicherweise Springerstiefel getragen. In dem Freundeskreis, dessen WhatsApp-Gruppe sich „Ortskontrollfahrt“ nannte, habe es auch politische Gespräche gegeben: „Ich gebe mal ein Beispiel: Kita-Freigebühren“, sagte S. – im Zuschauerraum brandete daraufhin Gelächter auf. Tatsächlich ergaben die Ermittlungen, dass die Gruppe Bilder mit Hakenkreuzen ausgetauscht hat, die der Angeklagte vor Gericht als „so lustige Bilder“ bezeichnete. Auch hat S. in der Chatgruppe den Satz „Ich hasse Linke“ geschrieben. Zum Zeitpunkt der Tat war S. Mitglied der AfD, trat aber kurz danach aus. Auch mit der Identitäten Bewegung habe er sich befasst und fand sie „interessant“, wie er sagt. Rassist und Nationalsozialist sei er aber nicht, beteuerte er: Schließlich habe er einen Schwarzen Arzt und einen „tollen Kollegen“ aus Namibia. Heute sei er ein ganz anderer Mensch. Die Nebenkläger*innen, unter denen sich eine Schwarze Person befindet, schaute er während seiner Aussage nicht an.

via taz: Prozess um Attacke auf AfD-GegnerInnen :„Unpolitischer“ Hass auf Linke