Söder hält am Freie-Wähler-Chef fest, weil er ihn nach der Bayernwahl braucht. Um die Sache ging es bei der Flugblatt-Affäre längst nicht mehr. Der entscheidende Satz fiel in der vorletzten Minute: „Wir werden in Bayern die bürgerliche Koalition fortsetzen. Es wird definitiv kein Schwarz-Grün geben.“ Man tritt Markus Söder bestimmt nicht zu nahe, wenn man ihm unterstellt, dass genau das der eigentliche Beweggrund dafür ist, an Hubert Aiwanger festzuhalten, der längst nicht mehr nur das Enfant terrible seines Kabinetts ist. Mit Moral, mit einer ausgewogenen Beurteilung des Verhaltens Aiwangers in der vergangenen Woche hat diese Entscheidung nichts zu tun. Das zeigt sich schon an den fadenscheinigen Begründungen. Er wolle keine Vorverurteilung vornehmen. Aber was heißt hier Vorverurteilung? Verurteilung vor was? Diesen Satz hätte man direkt nach der ersten Veröffentlichung der Süddeutschen Zeitung bringen können. Aber nun geht es um das seitherige Verhalten Aiwangers. Dieses allen Ernstes als unglückliches Krisenmanagement zu bezeichnen, bedarf schon einer Extraportion Chuzpe. Man erinnere sich an das Silvestervideo von Christine Lambrecht, das Energiekrisenmanagement von Robert Habeck. Hier hätte man die Vokabel „unglücklich“ vielleicht gebrauchen können. Söder hingegen forderte die Entlassung der beiden. Aber Moral ist bei Söder immer nur die Moral der anderen. Jetzt dürfe nichts mehr dazukommen, hat Söder vor ein paar Tagen noch großspurig gefordert, und er erwarte eine umfangreiche und glaubwürdige Beantwortung seines Fragenkatalogs. Nun lässt er Aiwanger aber etwa mit der Behauptung durchkommen, er wisse nicht, wie die Flugblätter in seine Schultasche gekommen seien. Auch die windelweiche Pseudoentschuldigung seines Vize lobt er als richtig und notwendig. Und dass er sich von dem Flugblatt distanziert habe, spreche für Aiwanger. Hallo? Allein dass Söder offenbar in Betracht zieht, es könne möglich sein, sich nicht von diesem Machwerk zu distanzieren, lässt einen sprachlos zurück.

via taz: Söders Aiwanger-Treue :Es geht um Macht, nicht um Moral

siehe auch: “Ein trauriger Tag” – Opposition kritisiert Söders Entscheidung Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger bleibt im Amt – das hat Ministerpräsident Söder entschieden. Die Opposition in Bayern äußert sich empört. SPD-Chef von Brunn nennt Aiwanger eine “Schande Bayerns”, Grüne und FDP sehen ein Versäumnis Söders. Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn hat die Entscheidung von Ministerpräsident Söder, an Wirtschaftsminister Aiwanger festzuhalten, mit deutlichen Worten kritisiert. Er sprach von einem “traurigen Tag für das Ansehen von Bayern in Deutschland und der Welt”. Dass die CSU “einen aktiven Rechtspopulisten und früher auch rechtsradikal tätigen Aktivisten als Stellvertreter in der Regierung akzeptiert, ist ein negativer Höhepunkt in der Geschichte von Nachkriegsdeutschland”, erklärte der SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl. Und im BR24 extra am Sonntag Abend legte von Brunn nach: “Wie soll jemand den Freistaat repräsentieren, der rechtsradikale Positionen vertreten hat?” Bei Aiwangers Aussagen handele es sich um “keinen Einzel-, sondern einen Regelfall”, so von Brunn. Seine Entschuldigungen seien “zu spät, zu unvollständig und auch zu uneinsichtig” gewesen. Die Angriffe und Vorwürfe gegen Medien seien “unvereinbar mit der Pressefreiheit und mit der Bayerischen Verfassung”. Solch eine Person sei “kein Stellvertreter, sondern eine Schande Bayerns”. (…) Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, Söders Entscheidung bedeute einen Schaden für das Ansehen Deutschlands. “Herr Söder hat nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül”, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Umgang mit Antisemitismus dürfe aber “keine taktische Frage sein”. Aiwanger habe sich weder überzeugend entschuldigt noch die Vorwürfe überzeugend ausräumen können, fügte Faeser hinzu: “Stattdessen erklärt er sich auf unsägliche Weise selbst zum Opfer – und denkt dabei keine Sekunde an diejenigen, die noch heute massiv unter Judenfeindlichkeit leiden. So verschieben sich Grenzen, die nicht verschoben werden dürfen.” Sie betonte: “Dass Herr Söder dies zulässt, schadet dem Ansehen unseres Landes.”