Wenn sich Rechtsextremisten auf die Germanen und auf die nordisch-germanische Mythologie berufen, ist das kein völkischer Kitsch, sondern ein zusätzlicher ideologischer Kitt. Darauf weist Georg Schuppener in seinem neuen Buch hin und warnt davor, dies zu unterschätzen. Der Verlag bewirbt „Die Schatten der Ahnen. Germanenrezeption im deutschsprachigen Rechtsextremismus“ damit, dass in dem Buch erstmals umfassend die rechtsextremen Bezugnahmen auf die germanische Geschichte und Kultur dargestellt und interpretiert wird. Zwar wurde das Phänomen in mehreren Kapiteln in unterschiedlichen Sammelbänden – etwa zum Thema Rechtsrock oder rechtsextreme Mode – schon mehrfach von anderen Autoren spezifisch dargestellt. Gleichwohl dürfte Schuppeners Fleißarbeit, so viel Material zusammengetragen und Hintergründe erklärt zu haben, in dieser Fülle mindestens selten oder tatsächlich sogar neu sein. Georg Schuppener, der in der Region Aachen lebt und bisher an verschiedenen renommierten und auch internationalen Universitäten gelehrt und geforscht hat, ist Sprachwissenschaftler, Naturwissenschaftshistoriker und promovierter Mathematiker. Letztgenanntes mag fachlich gesehen auf den ersten Blick unpassend erscheinen, gleichwohl erinnert manches an seiner Materialsuche eher an mathematisches Vorgehen. So entstand eine breite Grundlage, auf deren Basis er sich dem Thema auch teils interdisziplinär annähern konnte.
Zwischen Kitsch und Ideologie So ist „Die Schatten der Ahnen“ Erklärstück, Analyse und Warnung zugleich. Schuppener widmet sich dem in rechtsextremen Kreisen beliebten Germanen- oder Wikinger-Kitsch, den platt wirkenden Losungen wie „Odin statt Jesus“ oder zuweilen schlecht gereimtem Rechtsrock. Er erklärt zugleich anhand von Szene-Accessoires mit Bezügen zur nordischen, neuheidnischen Mythologie oder Modemarken wie „Thor Steinar“ wie die Szene ebenso äußerst intelligent mit Andeutungen, Mythen und Codes arbeitet. Und er erläutert den ideologischen Hintergrund und historische Bezüge zu den antisemitischen Esoterikern und zum Nationalsozialismus. Schuppener erläutert, dass der Bezug auf Germanen, Wikinger und die nordisch-germanische Mythologie in den ersten Jahrzehnten der rechtsextremen Szene in Westdeutschland noch eher selten eine Rolle spielte. Erst ab den 1980er und verstärkt ab den 1990er Jahren wurde der Germanen-Kult zum einen zu einer Art subkulturellem Pop der braunen Szene. Zugleich, schildert der Autor, ist die in der Szene verbreitete nordisch-germanische Mythologie elitär und ideologisch aufgeladen. Kampf gegen den Juden Jesus Die Welt des Kampfes und Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigene Ideologie sind elementare Bestandteile im Faschismus und waren es auch im Nationalsozialismus. Dem in der Szene verbreiteten Bild über die Germanen und Wikinger, über die alles verwüstenden Vandalen, über die Götter und ehrenhaft Gefallenen („Walhall“) kommt das sehr nahe. Ideologie und Mythologie werden so laut Schuppener zum Kitt im Krieg gegen die Moderne und gegen die Globalisierung, gegen Demokratie, Pluralismus und Multikulturalität. Nicht zuletzt begründet es auch den Kampf gegen das als schwächlich angesehene Christentum sowie gegen „die Juden“. „Odin statt Jesus“ klingt flappsig – deutlicher formulierte die Band „Landser“, die Jesus im Lied „Walvater Wotan“ ein „Judenschwein“ nannte.
via bnr: Die nordisch-germanische Mythologie als Kitt für die rechte Szene