Erneut hat eine Richterin versucht, die Maskenpflicht für Schüler mit einem Paragraphen zu kippen, der Kinder vor Gewalt in der Familie schützen soll. Experten befürchten einen Missbrauch des Familienrechts. Es sind zwei einzelne Gerichtsentscheidungen, die aktuell in sogenannten “Querdenker”-Kreisen gefeiert werden, weil sie vermeintlich die Maskenpflicht an Schulen “kippen”. Beide Entscheidungen wurden in Juristenkreisen ganz überwiegend mit fassungslosem Kopfschütteln quittiert. “Offenkundig rechtswidrig” seien sie, so die einhellige Meinung der Fachwelt. Aber: Auch wenn beide Entscheidungen wohl keinen Bestand haben werden – für einen unmittelbaren Anstieg ähnlicher Verfahren sorgen sie trotzdem. (…) Solche Eilanträge sind im Familienrecht ein wichtiges Instrument und können ein scharfes Schwert sein. Oft geht es dann darum, Kinder aus akuten, gefährlichen Situationen zu retten, etwa weil Gewalt oder Missbrauch droht – durch die Eltern oder andere. Hebel für die Richter ist Paragraph 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs: “Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.” Absatz 4 dieser Vorschrift sieht vor, dass “(…) das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen” kann.  (…) Die beiden Gerichtsentscheidungen haben einfach die Schulen der jeweiligen Kinder als “Dritte” im Sinne des Gesetzes gesehen. Die Schulen sollen es laut den Beschlüssen also unterlassen, die vorgeschriebene Maskenpflicht durchzusetzen. Doch das ist juristisch schon deshalb fragwürdig, weil der Rechtsstaat für solche Rechtsfragen eigentlich ganz andere Wege vorsieht: Ob das Handeln der Verwaltung Recht und Gesetz entspricht, ist von den Verwaltungsgerichten zu prüfen. (…) “Hier wurde offenbar versucht, über diese familienrechtliche Vorschrift das öffentliche Recht zu vereinnahmen”, kommentiert Werner Schwamb den Vorgang. Er ist ehemaliger Vorsitzender Richter eines Familiensenats am Oberlandesgericht Darmstadt und hat rund 30 Jahre lang familienrechtliche Entscheidungen gefällt. “Die Vorschrift des Pragraphen 1666 BGB bezieht sich aber nur aufs Private”, sagt er.Beispielsweise diene sie dazu, Kinder vor Missbrauch oder Gewalt zu schützen. Etwa wenn die Eltern selbst, oder ein neuer Partner eines Elternteils als “Dritter”, eine unmittelbare Gefahr für das Kindeswohl darstelle. Zudem meint die Vorschrift Eltern, die dem Schutz ihrer Kinder aus persönlichen Gründen nicht nachkommen wollen – und nicht Eltern, die anderer Meinung sind als geltende Vorschriften und aktuelle Gerichtsurteile. Anders gesagt: Der Paragraph ist schlicht nicht anwendbar auf Corona-Maßnahmen.  (…) Juristisch könnte das Vorgehen der Maskengegner sogar zum Bumerang werden. Wie die “Leipziger Zeitung” berichtet, soll ein Familienrichter in Leipzig in einem gleichgelagerten Fall von seiner Kompetenz ganz anders Gebrauch gemacht haben, als es die Mutter eines Kindes erwartet hat. Ihren Antrag wegen Kindeswohlgefährdung (durch die Maskenpflicht) nahm der Richter demnach zum Anlass, eine Kindeswohlgefährdung durch die Mutter selbst prüfen zu lassen. Das Jugendamt soll danach nun eine Einschätzung zur Erziehungseignung der Mutter vorlegen.  Außerdem kann es teuer werden. Im Falle eines abschlägigen Beschlusses liegt es in der Entscheidung der Richter, ob Kosten entstehen.

via tagesschau: Entscheidungen zu Masken an Schulen – “Querdenker” jubeln, Juristen fassungslos