Die AfD behauptet, Bürger könnten “nur noch mit berechtigter Angst zur Arbeit fahren oder auf Reisen gehen”. Anlass sind Zahlen zur Kriminalität an Bahnhöfen, die im Kontext betrachtet allerdings wenig alarmierend wirken. Verschiedene Medien berichten heute über eine Antwort der Bundesregierung auf eine AfD-Anfrage zur Kriminalität an Bahnhöfen. Diese Berichte beziehen sich auf eine Meldung der Nachrichtenagentur dpa. Darin heißt es: “Bei Gewaltdelikten lag der Hamburger Hauptbahnhof im vergangenen Halbjahr deutschlandweit vorn: Insgesamt 300 Fälle verzeichneten die Behörden dort zwischen Juli und Dezember 2020. Das gehe aus einer Auskunft des Bundesinnenministeriums an die AfD-Fraktion hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Hinter dem Hamburger Bahnhof liegen der Frankfurter Hauptbahnhof mit 238 und der Nürnberger Hauptbahnhof mit 189 Gewaltdelikten.” (…) Grundsätzlich muss bei den Zahlen beachtet werden, dass es sich um Daten der Bundespolizei aus der Polizeilichen Eingangsstatistik (PES) handelt; das heißt, es werden Verdachtsfälle abgebildet und nicht tatsächlich bestätigte Delikte. Die weiteren Ermittlungsergebnisse sind nicht berücksichtigt. Allerdings lassen sich zumindest Tendenzen daraus ablesen, wenn die Kriterien und Definitionen gleich bleiben. Während die Zahl der meisten Verdachtsfälle also nicht gestiegen ist, wuchs die Zahl der Passagiere in diesem Zeitraum. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts beförderte die Eisenbahn 2018 etwa 200 Millionen Personen mehr als im Jahr 2012. Zudem gibt es in Deutschland rund 5700 Bahnhöfe, auf denen nach Angaben der Bahn täglich rund 20 Millionen Menschen unterwegs sind. Dass Hamburg der Bahnhof mit den meisten Verdachtsfällen bei Gewaltdelikten ist, erscheint somit wenig überraschend, denn es ist auch der deutschlandweit meist frequentierte Bahnhof. Auf ein halbes Jahr hochgerechnet sind am Hamburger Hauptbahnhof somit fast 100 Millionen Menschen unterwegs – und in diesem Zeitraum wurden 300 Verdachtsfälle von Körperverletzung registriert. Eine Sprecherin der Bahn teilte auf Anfrage des ARD-faktenfinder zudem mit, bei den meisten aufgeführten Verdachtsfällen handele es sich nicht um schwere Körperverletzung, sondern um leichtere Delikte – wie beispielsweise Anspucken. Sie betonte, solche Vorfälle dürften nicht verharmlost werden, dennoch gebe es Unterschiede zwischen den Fällen, die in polizeilichen Statistiken als Körperverletzung erfasst werden. (…) Setzt man also die Zahl der Verdachtsfälle in Relation zur Zahl der Menschen, die täglich in Zügen und auf Bahnhöfen unterwegs sind – und berücksichtigt die Entwicklung der vergangenen Jahre, stellt sich die Beurteilung der Sicherheit an Bahnhöfen womöglich deutlich anders da, als wenn die Angaben zur Kriminalität allein betrachtet werden. Dass die Reisenden in Deutschland generell “nur noch mit berechtigter Angst” reisen könnten, so wie die AfD es behauptet, erscheint im Kontext betrachtet eine deutlich übertriebene Interpretation zu sein.
via tagesschau: “Berechtigte Angst” oder Stimmungsmache?