Ein ZEIT ONLINE vorliegendes Video weckt Zweifel an der Darstellung der Polizei. Es zeigt die entscheidenden Szenen aus der Silvesternacht in Leipzig. Menschen werfen Feuerwerkskörper auf Polizisten, ein Einkaufswagen brennt, junge Männer springen und treten auf Beamte ein, Herumstehende grölen “Haut ab, Ihr Schweine!”, Polizisten gehen zu Boden. Aufnahmen aus dem Leipziger Stadtteil Connewitz zeigen eine Eskalation in der Silvesternacht, über die seitdem diskutiert wird. (…) Umstritten ist vor allem, was genau in jenen Minuten kurz nach Mitternacht wirklich geschah – und wie organisiert die Angriffe auf die Polizei verliefen. Die Polizei in Sachsen hatte noch in der Silvesternacht eine Pressemitteilung verschickt, in der es hieß, “eine Gruppe von Gewalttätern versuchte einen brennenden Einkaufwagen mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei zu schieben”. (…) ZEIT ONLINE liegt nun ein Video der entscheidenden Szenen der Silvesternacht in Leipzig-Connewitz vor. Es ist nur knapp eine Minute lang, dokumentiert aber die Schlüsselmomente vor, während und nach der Verletzung des Beamten. Es zeigt allerdings ein deutlich differenzierteres Bild, als das bisher von der Polizei gezeichnete. Der Autor oder die Autorin ist der Redaktion nicht bekannt, ZEIT ONLINE hat aber anhand von Augenzeugenberichten, Vor-Ort-Besichtigungen in Connewitz und weiterem Video- und Fotomaterial aus der Nacht aus unterschiedlichen Quellen, die Echtheit des kurzen Films verifiziert. Das Video zeigt die Szene gegen 0.15 Uhr in der Nacht, als der 38-jährige Polizist im Einsatz am Connewitzer Kreuz angegriffen wird, sein Bewusstsein verliert und von Kollegen abtransportiert werden muss. Die Situation ist unübersichtlich, es ist laut, Raketen fliegen. Durch die Lichtverhältnisse ist nicht immer sofort erkennbar, wer Polizist ist und wer Zivilist. Relativ klar zu sehen ist jedoch, dass es keinen orchestrierten Angriff einer großen Gruppe Linksextremisten auf die später verletzten Polizisten gab. An dem Abend waren drei Hundertschaften der Polizei, also 250 Beamte, im als links geprägt geltenden Stadtteil Connewitz im Einsatz. An dieser Stelle haben laut Polizei über tausend Menschen in das neue Jahr gefeiert. Unter ihnen sind bürgerliche Anwohner, Partytouristen, auch eine Spaßfraktion von Die Partei, bestätigen Augenzeugen und zeigen weitere ZEIT ONLINE vorliegende Videoaufnahmen. Einige Anwesende sind vermummt und tragen schwarze Pullover und Hosen, und zählen offenkundig zum autonomen Spektrum. Einige so gekleidete Männer greifen Beamte an. Zu sehen sind Feuerwerksraketen, die auf Polizisten abgefeuert werden, Tritte gegen einzelne Polizisten und mindestens ein Wurf mit einem unbekannten Gegenstand, womöglich einem Stein. Ein Mann schubst einen Polizisten zu Boden, der aber wieder aufstehen kann. Auch ein brennender Einkaufswagen ist zu sehen, der mit Pappe wie ein Polizeifahrzeug dekoriert ist. Jedoch wird der Einkaufswagen von einem Beteiligten auf dem Platz eher von den Beamten weg- als auf sie zu geschoben. Wenig später steht er entfernt von den angegriffenen Polizisten und spielt in dieser Situation offenbar eine untergeordnete Rolle. In einer Pressemitteilung hatte die Polizei angegeben, eine “Gruppe von Gewalttätern” habe versucht, den Einkaufwagen “mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei zu schieben”. (…) Der Polizeipräsident schilderte in dem Interview mit ZEIT ONLINE die Schlüsselszene so: “Wir wissen auch noch nicht genau, was mit dem Helm des schwer verletzten Kollegen passiert ist. Wir gehen davon aus, dass der Helm von seinem Kopf gerissen wurde.”
Verletzter Polizist trug Helm In dem nun vorliegenden Film sieht es hingegen so aus, als ob mehrere Polizisten von Anfang der Festnahme eines Beschuldigten an ohne Helme agiert haben. Schon zu Beginn dieser gefährlichen Situation trägt etwa einer der Beamten seinen Helm in der Hand und nicht auf dem Kopf. Unklar bleibt, warum der Beamte sich in dieser gefährlichen Gemengelage nicht am Kopf schützt.
via zeit: Angriff in Connewitz war offenbar nicht orchestriert
siehe auch: Die Polizei stellt sich selbst Fallen. Ganz gleich, ob vorsätzlich oder im Chaos: Wenn die Polizei die Unwahrheit sagt, schafft sie ein Problem – für die Gesellschaft und für die Beamten selbst. In Leipzig brauchte es drei Tage, bis aus einem Angriff einer Gruppe von Gewalttätern in der Silvesternacht auf Polizisten ein Desaster der Krisenkommunikation geworden war. Am 3. Januar musste die Polizei eingestehen, dass ein verletzter Beamter nicht wie behauptet notoperiert worden war (und damit auch nicht, wie insinuiert, in Lebensgefahr geschwebt hatte, was einige Medien zu Zeilen wie “Chaoten wollten Polizisten töten” getrieben hatte). Und nun, eine Woche später, zeigt ein Video, das ZEIT ONLINE exklusiv vorliegt, dass auch die Darstellung der Polizei, einem Beamten sei der Helm vom Kopf gerissen worden, nicht haltbar ist. Auch ist zu sehen, dass es wohl keinen orchestrierten Angriff einer großen Gruppe auf die Polizisten gab. (…) Doch eine Polizei, die öffentlich vor sich hin spekuliert oder sogar Lügen verbreitet, ist aus zwei Gründen eine Katastrophe. Sie macht sich zunächst einmal unglaubwürdig. Wenn die Polizei – vielleicht als Gegengewicht zur Echtzeitkritik in sozialen Netzwerken – dazu übergeht, ihre eigenen Meldungen nicht gründlich zu prüfen – wer sollte sich dann darauf verlassen oder ihnen auch nur besonderen Wert beimessen? Für uns Medien ist es höchste Zeit (und auch absolut richtig) sich auf Polizeimeldungen nicht mehr als “privilegierte Quelle” zu verlassen, deren Informationen ungeprüft verwendet werden können. Das ist erst mal unproblematisch. Doch es verändert auch die Wahrnehmung der Polizei in der Öffentlichkeit. So verkommt die offizielle Darstellung der Behörde zu nur mehr einer von vielen Versionen von Augenzeugen, Aktivistinnen und Hetzern, die behaupten: So oder so ähnlich könnte es gewesen sein. Ein weitere Stimme, die ihre Version ins Netz raunt. Das schadet dem Ansehen der Behörde als Ganzes und vor allem all jenen Beamtinnen und Beamten, die auf der Straße ihren Job machen sollen. Die Polizei stellt sich selbst eine Falle Und zweitens stellt sich die Polizei mit solchen Falschmeldungen selbst eine Falle. Viele unterstellten den Polizeipressestellen, die Öffentlichkeit bewusst täuschen zu wollen; Gewalt-Nacht in Connewitz – „Das war Wahnsinn“. Nicht nur verletzte Beamte: Nach der Connewitz-Nacht klagen Feiernde über rabiaten Polizeieinsatz. Die taz zeigt ein Video des Angriffs auf Polizisten. Nico S. ist noch immer empört. „Unglaublich“ sei das Ganze, „mehr als ungerecht“. Mit Freunden habe er in der Silvesternacht in Leipzig-Connewitz zusammengestanden. Dann plötzlich seien Polizisten gekommen, hätten ihn gepackt, geschlagen und in eine Garageneinfahrt gezerrt. Ganze 37 Stunden habe er danach im Polizeigewahrsam verbracht. „Dabei habe ich nichts gemacht“, beteuert Nico S. (Name geändert). „Das muss eine Verwechslung sein.“ Im Fall von Nico S. bleiben die Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Laut Staatsanwaltschaft wird weiter gegen ihn ermittelt. Aber: Der 20-Jährige ist nicht der Einzige, der über den Polizeieinsatz in der Connewitzer Silvesternacht klagt. Damit erscheint dieser Abend noch mal in einem anderen Licht (…) Auch auf der Seite der Feiernden gab es Verletzte. Ein LKA-Sprecher bestätigt der taz, dass unter den 13 Festgenommenen ein Mann stationär im Krankenhaus behandelt werden musste. Er sei eine der vier Personen, die nach der Silvesternacht einen Haftbefehl erhielten. Nico S. ist dagegen wieder frei. Aber auch er beklagt, von den Polizisten verletzt worden zu sein: Er erlitt ein Hämatom am Auge. Gegen 2 Uhr habe er mit seinen Freunden am Connewitzer Kreuz zusammengestanden, berichtet S. Dann plötzlich hätten die Polizisten ihn gegriffen, ein Beamter habe ihn mit einem Finger ins Auge gedrückt. Der Vorwurf: Er habe eine Flasche geworfen. „Aber von uns hatte keiner eine Flasche geworfen, definitiv nicht“, behauptet Nico S.