Seit Kaiser Wilhelm II. blickt die völkische Rechte in Deutschland sehnsuchtsvoll nach Skandinavien und idealisiert die Wikinger. Warum eigentlich? Blick nicht zurück, so heißt ein Lied des wohl bekanntesten Rechtsrappers Chris Ares. Ein seltsamer Titel – gehört doch der Blick zurück zum ideologischen Basisbesteck der extremen Rechten. Keine andere politische Gruppierung hat Frühgeschichte so fest in ihrem Programm. Ein YouTube-Video zu Blick nicht zurück besteht ausschließlich aus zusammengeschnittenen Szenen der Netflix-Serie Vikings, obwohl es im Text überhaupt nicht um Wikinger geht. Ein paar Bilderschnipsel scheinen auszureichen, um völkische Nestwärme zu verbreiten. In Wir sind Kämpfer rappt derselbe Ares: “Großfamilien-Clan – nein – lieber meine Hand abtrennen / Meine Brüder bleiben ehrenwerte Nachkommen der Wikinger, Germanen.” Rap, so heißt es in Naziforen allen Ernstes, gehe schließlich auf den germanischen Sprechgesang zurück, was auch immer das sein soll. (…) Der nordische Gedanke war mehr ein erfühltes und weniger ein definiertes Abstraktum. Unter einen Hut bringen ließen sich mit ihm moderne Archäologie und die Edda oder so unterschiedliche Köpfe wie Goethe und der norwegische Schriftsteller Knut Hamsun. Begriffliche Unklarheit war dabei durchaus Programm. Unverblümt schrieb 1933 Thilo von Trotha, der Verbindungsmann zum Außenpolitischen Amt, die Nordische Gesellschaft sei nach der Gleichschaltung weiterhin wirtschaftlich und kulturell ausgerichtet, strebe “unter der Decke” aber auch “außenpolitische und rassische Ziele” an. Trotha erklärte gegenüber Reichsbauernführer Walther Darré: “Die NG ist dafür ein umso besseres Instrument, als sie in Skandinavien und Finnland einen guten Namen hat und das Wort ‘nordisch’, das die Gesellschaft eingebürgert hat, das aber nur im Sinne von ‘skandinavisch’ zu verstehen war, für uns von einer erfreulichen Doppeldeutigkeit ist.” Unter der Decke arbeiteten die außenpolitischen Strategen Rosenbergs vor allem an einem Thema: Germanen und Wikinger. Das Großevent der Nordischen Gesellschaft, die Nordische Woche in Lübeck, wurde begleitet von einer hochrangig aufgezogenen wissenschaftlichen Tagung. Auf diesem Nordischen Kongress referierten die führenden Archäologen und Volkskundler aus den Niederlanden, Skandinavien und Deutschland zum Stand der Germanen- und Wikingerforschung. 1936 wurde aus diesem Anlass sogar ein archäologisches Freilichtmuseum aufgebaut. Rosenbergs außenpolitisches Amt ging 1936 in einen schnellen Sinkflug über, die Aktivität der Nordischen Gesellschaft verebbte entsprechend. Die Idee, mit Wikingern Außenpolitik zu machen, übernahm später die SS. Die erste Waffen-SS-Division mit nicht deutschem Personal hieß Wiking, die Kriegsrekrutierung zielte auf niederländische, belgische und baltische Freiwillige, vor allem jedoch auf Skandinavier. Der Anwerbungserfolg hielt sich jedoch in Grenzen.

via zeit: Diagnose: Nordlandfieber (+)


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