Ultrakonservative Christen machen Stimmung gegen Schwangerschaftsabbrüche und gleichgeschlechtliche Ehe. Mit Religion hat ihr Treiben wenig zu tun. “Abtreibung? Nein Danke!” steht auf einem Schild, das aus der Menge ragt, “I believe only in Jesus and the bible” auf einem anderen. Rund 3.000 Menschen demonstrieren Mitte April beim sogenannten Marsch fürs Leben auf dem Münchner Königsplatz bei einer der zentralen Zusammenkünfte christlich-fundamentalistischer Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen. Aus den Boxen rund um die Bühne kommt fröhliche Musik, die Stimmung ist ausgelassen. “Das Leben eines jeden Menschen ist wertvoll!”, ruft ein Moderator den Teilnehmenden von der Bühne aus zu. “Obwohl man daran Zweifel bekommen mag, wenn man sich die linken und, nun ja, bunten Gegendemonstranten hier anschaut”, schiebt er hinterher. Die Menge lacht. Der Marsch fürs Leben findet jedes Jahr statt. Hier trifft sich die antifeministische Bewegung: Organisationen aus der ganzen Welt, die gegen die Selbstbestimmung von Frauen und die Rechte der queeren Community eintreten und ein christlich-traditionelles Familien- und Weltbild befürworten. Tatsächlich ist das Christentum für die diversen Vereinigungen, deren Infostände sich seitlich der Bühne aneinanderreihen, kaum mehr als ein Deckmantel. Sie treiben eine rechtskonservative Agenda voran – unterstützt von Etats in Millionenhöhe. (…) 2019 erzählte CitizenGo-Chef Ignacio Arsuaga der Medienplattform openDemocracy von seinen internationalen Kontakten zu rechten Parteien, auch zur AfD. Arsuaga ist außerdem laut Zeugenaussagen aus einem Madrider Gerichtsprozess ebenso wie einige seiner Mitarbeitenden Mitglied einer rechtsextremen, ultrakatholischen Sekte namens El Yunque, die ein “Reich Gottes auf Erden” aufbauen und dafür öffentliche Einrichtungen beeinflussen will. (…) Der Kulturwissenschaftler Jobst Paul, der ein Gutachten über das Potenzial des christlichen Fundamentalismus in Deutschland erstellt hat, sieht in solchen Äußerungen eine “rückwärtsgewandte Tradition, die Ständestrukturen aus dem Mittelalter wiederherstellen will”. Zudem zeigen sie: Den christlichen Aktivisten geht es um weit mehr als Religion. Die Soziologin Kristina Stoeckl, die an der Freie Internationale Universität für Soziale Studien in Rom zu antifeministischen Akteuren in Europa forscht, nennt die Bewegung deshalb die “konservative Ökumene”, die “vorrangig politische und keine theologischen Ziele” verfolge. Die Berufung auf das Christentum sei kaum mehr als ein loser Verbindungspunkt für Ultrakonservative aus der ganzen Welt. “Die Akteure definieren im Grunde nur gemeinsame Feinde”, sagt Stoeckl. Diese Feinde seien die liberale säkulare Ordnung und Personen, die sich zum Beispiel für Geschlechtergerechtigkeit, die gleichgeschlechtliche Ehe und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch einsetzen. Nicht auf dem Radar des Verfassungsschutzes Kulturwissenschaftler Paul kritisiert die fehlende Überwachung der Gruppen und den staatlichen Umgang mit dem Thema. Der Staat habe Sekten und christlichen Fundamentalismus lange als Jugendschutzthematik behandelt, als psychologische Fragestellung, und dabei den politischen Charakter übersehen. “Aber hinter diesen Gruppierungen stehen antidemokratische Ziele, die Minderheiten stark gefährden”, sagt Paul, “da kann es doch nicht sein, dass der Staat diese Akteure ungehindert agieren lässt.”

via zeit: Rechte Politik im religiösen Gewand


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