Mit einem kruden Gerücht stachelten Reichsbürger vor drei Jahren Demonstranten an, die Treppen zum Reichstag zu stürmen. Ein Rädelsführer demonstriert bis heute weiter. Die Flaggen des Kaiserreichs wehen vor dem Bundestag. Hunderte Menschen stürmen am 29. August 2020 brüllend die Treppen zum Reichstagsgebäude hinauf. Erst sind es nur fünf Polizisten und eine Polizistin, die sich der aufgepeitschten Menge entgegenstellen. Als die Beamten sie von den Treppen verdrängen, rufen sie “Widerstand”. Da sind die Bilder schon längst dabei, zu einer schaurigen Ikone der Aktivitäten von Rechtsextremen, Reichsbürgern und Corona-Leugnern zu werden. Der Tag vor drei Jahren war ein Großevent der Querdenken-Bewegung: Rund 38.000 Menschen kamen zu ihrer Demonstration nach Berlin. (…) Besonders Rechtsextreme haben dem Tag aufgeregt entgegengefiebert. So auch Rüdiger Hoffmann: Der Ex-NPD-Kader demonstriert seit 2013 mit seinem selbst gegründeten Verein regelmäßig vor dem Bundestag. Immer wieder forderte er dort den Sturm des Parlaments. Als die Querdenken-Demonstration für Berlin angekündigt war, meldete er eine Dauerkundgebung vor dem Bundestag an. Die Kundgebung war einer der skurrileren Schauplätze an diesem ohnehin bemerkenswerten Tag. Auf der Bühne sprachen der Verschwörungserzähler Attila Hildmann und der Holocaustleugner Nikolai Nerling, eine andere Rednerin trug ein Engelskostüm. “Das war wie ein bizarrer Jahrmarkt”, sagt Sarah Müller (Name geändert). Sie dokumentiert seit über zehn Jahren rechtsextreme Aktivitäten in Berlin, auch beim Sturm auf den Reichstag war sie am Ort des Geschehens. “So euphorisch wie an diesem Tag habe ich Hoffmann selten erlebt”, sagt sie. Die Querdenken-Demo habe ihm Publikum beschert: Nie zuvor habe er seine kruden Thesen vor so vielen Menschen ausbreiten können, sagt Müller. (…) Gunar Wünsch, ein Mitglied der Reichsbürger-Gruppe Gelbwesten Berlin, verbreitete die Behauptung, dass Trump in Berlin sei, via Megafon auf der Kundgebung. Ähnliches tat Tamara Kirschbaum, eine Heilpraktikerin aus der Eifel. Sie war es, die an diesem Tag um 19 Uhr von der Bühne aus dazu aufrief, auf die Parlamentstreppen zu stürmen. Kurz zuvor hatte die Berliner Polizei noch eine größere Gruppe Menschen, zahlreiche davon mit Reichs- und QAnon-Fahnen in den Händen, auf den Platz gelassen. Teile dieser Gruppen standen wenige Minuten später fahnenschwenkend auf den Treppen des Reichstags.

via zeit: Reichsbürger : Wie es zum Sturm auf den Reichstag kam