Die Polizei stuft mehr politische Taten als „nicht zuzuordnen“ ein – auch nationalistische Umsturzpläne. Ampel und Opposition fordern Änderungen. Für Nancy Faeser war es ein Blick in „einen Abgrund terroristischer Bedrohung“, als die Bundesanwaltschaft im Dezember 25 ReichsbürgerInnen wegen mutmaßlicher Umsturzpläne festnehmen ließ. Die Szene teile einen „Hass auf die Demokratie“, warnte die Bundesinnenministerin. Auch Generalbundesanwalt Peter Frank sprach angesichts der größten Anti-Terror-Razzia seit Jahrzehnten von einem Milieu, das zu „aktiver Gewalt bereit“ sei. Aktuell laufen weiter die Ermittlungen zu dem Fall. Inzwischen zählt die Bundesanwaltschaft 55 Beschuldigte. Mehr als 90 Waffen wurden beschlagnahmt sowie hunderttausende Euro. Inhaltlich aber scheinen die Sicherheitsbehörden weiter nicht sicher zu sein, wie der Fall einzuordnen ist. Denn in einer aktuellen Statistik zur politischen Kriminalität taucht dieser nicht im Bereich Rechtsex­tremismus auf – sondern im Feld „Sonstige Zuordnung“. Das geht aus einer aktuellen Antwort des Innenministeriums auf eine Linken-Anfrage hervor. Die Einordnung beruhe auf den aktuell vorliegenden Erkenntnissen zu den Straftaten und ihrer „tatauslösenden Motivation“, erklärt das Ministerium. Wenn alle Auswertungen abgeschlossen seien, könne sich das „gegebenenfalls“ nochmal ändern. Dabei ließen die festgenommenen Reichsbürger wenig Zweifel an ihrer Ideologie: Sie planten einen „Systemwechsel auf allen Ebenen“, wollten offenbar die Regierung stürzen und beschafften bereits Waffen. (…) Das Problem ist nicht neu. Schon bei der jüngsten Jahresstatistik politisch motivierter Straftaten für das Jahr 2021 war der Anteil der „nicht zuzuordnenden“ Straftaten enorm: 21.339 der 55.048 Delikte fielen in diese Kategorie – ganze 40 Prozent. Der Aufwuchs kam hier vor allem durch Straftaten aus dem Lager des Coronaprotests zustande, den die Polizeibehörden bisher nicht als links oder rechts einordnen. Zu Jahresbeginn benannte das Bundeskriminalamt die Kategorie „nicht zuzuordnen“ dann in „Sonstige Zuordnung“ um – um öffentliche „Irritationen zu vermeiden“. Die Erfassung aber blieb beim Alten. Auch über die Einordnung der Reichsbürger wird seit Jahren debattiert. Der Verfassungsschutz nahm die Szene erst nach den tödlichen Schüssen eines Reichsbürgers auf einen Polizisten 2016 systematisch unter Beobachtung. Bis heute betont die Behörde aber, wie heterogen das Milieu sei. So zählt das Bundesamt derzeit 23.000 Reichs­bür­ge­r:in­nen – nur 1.250 davon aber als Rechtsextremisten.

via taz: Blinde Polizei-Statistik :Reichsbürger nicht zu fassen