In Amerika formieren sich Klubs, in denen Jugendliche Werke lesen, von denen man sie in Schulen und Bibliotheken zunehmend fernhalten will. Nichts fördert die Neugier auf Literatur offenbar so sehr wie die konservative Kontrollwut. Kaum je wurden in den USA so viele Bücher verboten, zensuriert, aus Schulbibliotheken entfernt oder aus dem Unterricht verbannt wie heute. Die Vereinigung der amerikanischen Bibliotheken (ALA) hat im letzten Jahr 729 Bücher identifiziert, die beanstandet wurden – ein Höchststand, seit die ALA im Jahr 2000 mit dieser Zählung begann. Viele Werke werden aber auch inoffiziell aus Schulbüchereien entfernt, aus vorauseilendem Gehorsam insbesondere von Schulleitern, die damit Kontroversen zuvorkommen wollen. Lesen hat plötzlich den Ruch des Verbotenen Meist kommt die Säuberungswut aus der konservativen Ecke und richtet sich gegen Bücher, die Rassismus oder LGBT-Themen behandeln. Der Vorwurf lautet dann, die Schüler würden mit Inhalten der «Critical Race Theory» indoktriniert, das heisst, den weissen Kindern werde ein schlechtes Gewissen vermittelt oder die sexuellen Inhalte der Bücher seien nicht altersgerecht. Gegnern der Verbote wird dann entweder vorgeworfen, sie würden zum Rassenhass gegen Weisse anstacheln oder sie wollten die Kinder sexualisieren und dann missbrauchen (die «Grooming»-Unterstellung). Auffällig oft landen Bücher von afroamerikanischen, hispanischen oder homosexuellen Autoren auf dem Index, die sich im weitesten Sinne mit Minderheiten beschäftigen. Gelegentlich kommen die Zensurbestrebungen aber auch von links; sie richten sich meist gegen ältere Bücher, denen eine stereotype Darstellung von Schwarzen vorgeworfen wird. Die Hatz ist Teil der amerikanischen Polarisierung und des Kulturkampfes, in dem alles politisch instrumentalisiert und ausgeschlachtet wird. Nun entsteht jedoch eine Gegenbewegung in Form von «Banned Book Clubs», in denen Junge genau diese verfemten Bücher lesen. Der Kontrollwahn ist damit kontraproduktiv: Erst die schwarzen Listen machen die Schüler auf «interessante» Bücher aufmerksam. Auf einmal hat Literatur den Reiz des Verbotenen, zumal es bei der Debatte auch noch oft um Sexualität geht. Sich zum Lesen in den Klubs zu treffen, wird zu etwas Subversivem. Eine bessere Werbung für Bücher hätten die konservativen Schildbürger nicht lancieren können.

via nzz: In den USA boomen Lesezirkel für «verbotene» Bücher

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