Vor genau 90 Jahren übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland – mit schrecklichen Folgen. Eine der Lehren für heute laute, wachsam zu sein, sagt der Historiker Wirsching. Demokratien müssten aktiv verteidigt werden.tagesschau.de: Am 30. Januar 1933 kam Hitler an die Macht, nicht durch einen gewaltsamen Umsturz, sondern durch einen regulären Regierungswechsel. Wie konnte es dazu kommen?Andreas Wirsching: Es gab zwei wichtige Voraussetzungen für die Machtübernahme: Zum einen war die parlamentarische Demokratie seit 1932 nicht mehr wirklich funktionsfähig. Es gab zahlreiche Regierungswechsel, dadurch entstand ein Machtvakuum. Und zum anderen war die NSDAP eine Massenbewegung geworden, sowohl auf der Straße als auch im Parlament. Dadurch kamen die konservativen Eliten der Weimarer Republik um Reichspräsident Paul von Hindenburg in die Versuchung, diese Massenbewegung zu steuern und sie als eigene Machtbasis zu benutzen.Deshalb hat Hindenburg auf Anraten seines Schützlings Franz von Papen letztlich – obwohl er das lange Zeit nicht wollte – Hitler doch zum Reichskanzler ernannt. Das ist bekanntlich grandios gescheitert: Hitler konnte die konservativen Eliten, die ihn in den Sattel gehoben haben, übertrumpfen. Deshalb ist der 30. Januar 1933 auch bis heute ein Menetekel für Demokratien, dass man mit Rechtsradikalen oder überhaupt Extremisten lieber gar nicht erst anfängt. tagesschau.de: Hitler hat die Weimarer Demokratie danach in nur wenigen Monaten in eine Diktatur verwandelt – wie ging er dabei vor?Wirsching: Hitler setzte nur wenige Wochen danach – unter großem Druck und Terror wohlgemerkt – die Reichstagsbrandverordnung und das Ermächtigungsgesetz durch. Damit war die Weimarer Verfassung in ihrer Grundrechtsebene praktisch außer Kraft gesetzt, denn Hitler konnte fortan am Parlament vorbei Gesetze erlassen.Interessant für uns heute sind die Mechanismen dahinter: Dadurch, dass die Nazis erfolgreich glauben machten, es habe sich um eine legale Machtübernahme gehandelt, konnten sie auch die Justiz und die Exekutive, also die Polizei und die Verwaltung, hinter sich bringen. Die waren natürlich auch vorher schon rechter Ideologie nicht abgeneigt, haben sich aber sofort von den Nazis in den Dienst nehmen lassen – weil sie glaubten, oder glauben wollten, dass sie völlig rechtmäßig handeln. Dazu kam eine Gleichschaltung der Medien und die gewaltsame Verfolgung der Opposition.Und ähnliche Mechanismen des Demokratieabbaus sehen wir auch heute wieder in einigen Ländern. Ganz deutlich natürlich in Russland, aber in abgeschwächter Form auch in der Türkei oder in Ungarn.

via tagesschau: 90 Jahre nach Hitlers Machtergreifung “Wir müssen wachsam sein”

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