Die aufsehenerregende Entscheidung wird nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Rechtswissenschaft debattiert. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat gegen das letzte Woche bekannt gewordene Coronaurteil des Amtsgerichts Weimar Revision eingelegt (vgl. Corona: Lockdown vs. Grundgesetz), in dem der Amtsrichter unter anderem auf Ausführungen des Regensburger Psychologieprofessors Christof Kuhbandner verweist, die in Telepolis erschienen (vgl. Warum die Wirksamkeit des Lockdowns wissenschaftlich nicht bewiesen ist). Staatsanwaltschaftssprecher Hannes Grünseisen begründet die Revision mit der “Fortbildung des Rechts” und der “Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung”. Ein anderes Vorgehen wäre bei so einer Entscheidung zu relativ neuen Rechtsfragen sehr verwunderlich gewesen. Kontaktverbot formell, aber nicht materiell rechtswidrig? Nun geht das Urteil – wie alle angefochtenen Entscheidungen in Bußgeldsachen – nicht zum Landgericht, sondern gleich zum Oberlandesgericht (OLG). Dieses Oberlandesgericht überprüft dann nicht mehr den unstreitigen Tathergang, sondern nur noch die vom Amtsgericht festgestellte formelle und materielle Rechtswidrigkeit der Kontaktverbote.
Dass das OLG die formelle Rechtswidrigkeit (und damit auch die Rechtswidrigkeit des verhängten Geburtsagsfeierbußgeldes) bejahen wird, ist dem Regensburger Juraprofessor Henning-Ernst Müller nach nicht unwahrscheinlich. Auch seiner Ansicht nach hätte die deutsche Staatsführung zwischen der Abriegelung Wuhans am 23. Januar 2020 (vgl. Coronavirus: Huanggang und Wuhan unter Quarantäne) und dem Erlass der Thüringer Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung (ThürSARS-CoV-2-EindmaßnV0) am 26. März 2020 genug Zeit gehabt, den Paragrafen 28 des Infektionsschutzgesetzes zu einer Rechtsgrundlage dafür auszubauen. Hinsichtlich der vom Weimarer Amtsgericht ebenfalls festgestellten materiellen Rechtswidrigkeit ist Müller skeptischer: Hier gesteht er dem Amtsgericht zwar zu, zur von ihm festgestellten Unverhältnismäßigkeit des Kontaktverbots “durchaus zutreffend einige Dinge angeführt [zu haben], die bei einer Abwägung zu berücksichtigen sind und möglicherweise vom Verordnungsgeber unzureichend berücksichtigt wurden/werden” – aber das Diktum, es könne “kein Zweifel daran bestehen, dass allein die Zahl der Todesfälle, die auf die Maßnahmen der Lockdown-Politik zurückzuführen sind, die Zahl der durch den Lockdown verhinderten Todesfälle um ein Vielfaches übersteigt”, zählt Müller nicht dazu. Darüber hinaus stellt der Regensburger Strafrechtsexperte die Einstufung des Kontaktverbots als Verstoß gegen die in Artikel 1 des Grundgesetzes geschützte Menschenwürde “zur Diskussion”.

via tp: Corona: Weimarer Urteil geht zum OLG

zum Hintergrund siehe auch: Weimarer Richter klagte selbst gegen Corona-Auflagen. Das Urteil eines Amtsrichters aus Weimar sorgte für Aufregung: Der Jurist erklärte das Kontaktverbot vom letzten Sommer für nichtig. Nun werden einschlägige Privatklagen des Richters gegen die Corona-Verordnung bekannt. Nachdem das Amtsgericht Weimar die im Frühjahr verhängten Kontaktbeschränkungen für verfassungswidrig erklärt hat, gibt es Berichte über eigene Klagen gegen Corona-Auflagen durch den zuständigen Richter. Nach übereinstimmenden Berichten von „Bild“-Zeitung und „Focus“ hat der Mann im vergangenen Sommer mehrfach privat versucht, juristisch gegen die Thüringer Corona-Verordnung vorzugehen.
Demnach klagte er zweimal im Eilverfahren vor dem Thüringer Oberverwaltungsgericht (OVG) gegen den Freistaat. In einem OVG-Beschluss vom 28. August ist laut „Bild“ nachzulesen, dass der Mann per einstweiliger Anordnung versuchte, die Infektionsschutzregeln zu Kontaktverbot, Maskenpflicht und Mindestabstand außer Kraft zu setzen. Das Gericht habe damals allerdings befunden, dass sich der Antragsteller eine „Erkenntnisgewissheit zumaße, die ersichtlich so nicht bestehe.“ Die Anträge seien deshalb abgelehnt worden. Seine Argumentation von damals weise große Ähnlichkeit zu seinem umstrittenen Urteil auf, das in der vergangenen Woche bekannt gemacht wurde.