Der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke über 20 Jahre ver.di, Erfolge, Herausforderungen und die Corona-Krise. Auf dem ver.di-Gründungskongress am 19. März 2001Foto: Christian von Polentz [M] Frank Werneke, der ver.di-Vorsitzende. Er wurde auf dem 5. Ordentlichen ver.di-Bundeskongress 2019 gewähltFoto: Renate Kossmann Foto: Jürgen Heinrich/Caro Auf dem ver.di-Gründungskongress am 19. März 2001Foto: Christian von Polentz [M] Frank Werneke, der ver.di-Vorsitzende. Er wurde auf dem 5. Ordentlichen ver.di-Bundeskongress 2019 gewähltFoto: Renate Kossmann ver.di publik: Ist nach 20 Jahren ver.di zusammengewachsen, was zusammengehört? FRANK WERNEKE: Glücklicherweise geraten auch im wahren Leben die Kinder anders, als Mütter und Väter es sich vorstellen, weil es sich ja um eigene Persönlichkeiten handelt. Das ist bei ver.di nicht anders. In den letzten 20 Jahren hat ver.di in so vielen Bereichen eine starke Kraft entwickelt und Entwicklungen angeschoben, von denen im März 2001 überhaupt noch nichts zu ahnen gewesen ist. Das große Ziel des Zusammenschlusses zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft war ein Zuwachs an Einfluss. Ob politisch, gesellschaftlich oder wirtschaftlich – alle wichtigen Entscheidungen in Deutschland die Arbeitswelt und Sozialpolitik betreffend sollten von ver.di mit beeinflusst werden. Dieses Ziel haben wir auf jeden Fall erreicht.
ver.di publik: Hast du dich von Anfang an als ver.dianer gefühlt? WERNEKE: Es war anfangs eine doppelte Identität, ehrlich gesagt. Ich war zwar damals mit Anfang Dreißig noch ein verhältnismäßig junges Vorstandsmitglied, hatte aber zu dem Zeitpunkt ja schon viele prägende Erfahrungen in der IG Medien gesammelt. Es gab damals eine Übergangsphase, in der die Kultur der Grün- dungs-Gewerkschaften immer noch zu spüren war und eine Rolle gespielt hat. Es hat einige Zeit gedauert, bis eine gemeinsame Identität entstanden ist. Heute ist das anders – der überwiegende Teil unserer Kolleg*innen ist ja auch erst nach der Gründung von ver.di in unsere Gewerkschaft eingetreten. ver.di publik: Wo war ver.di in den vergangenen 20 Jahren besonders erfolgreich? WERNEKE: Es gibt herausragende politische Erfolge. Der allerwichtigste ist die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gegen alle Widerstände. Aber uns ist in den letzten Jahren auch eine Aufwertung von Berufen in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Sozial- und Erziehungsdienst gelungen, typischerweise von Berufen, in denen überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt sind. Das ist ein ganz dickes Brett. Wirklich wichtig ist auch, dass wir verlässlich für unsere Mitglieder da sind. Wir haben 30.000 aktuell geltende Tarifverträge abgeschlossen, sind jeden Tag unterwegs, damit unsere Mitglieder aktiv und gemeinsam ihre Interessen durchsetzen, bestreiten jeden Tag hunderte Arbeitsgerichtsverfahren, in denen wir unsere Mitglieder vertreten. Und das sind nur Beispiele. ver.di publik: Und wo läuft es noch nicht so richtig gut? WERNEKE: Nicht alle Kompromisse, die bei der Gründung von ver.di notwendig waren, waren lebenspraktisch, es gab einen Hang zu überkomplexen Regelungen und Richtlinien, die dann mühsam reformiert werden mussten. Die Arbeitswelt verändert sich rasant – da müssen wir an der Spitze der Bewegung stehen und gute Arbeit gestalten. Wir sind als Organisation in einem riesigen Veränderungs- und Umbauprozess. Da ist der Digitalisierungsschub in der Gewerkschaftsarbeit, zum Teil durch die Pandemie verstärkt, den wir uns allerdings auch schon vor Corona als Schwerpunkt vorgenommen haben. Zum Teil bilden wir in ver.di noch Berufswelten der Vergangenheit ab, wir erneuern deshalb jetzt unsere Strukturen, was Fachlichkeit und Berufe betrifft, ganz grundlegend. Das ist überfällig. Und wir brauchen in der Tendenz weniger Gremien, dafür mehr Aktivitäten und Projekte, an denen sich möglichst viele Mitglieder beteiligen und ihre Erfahrungen einbringen können. Auch hier sind wir auf dem Weg, die 8.000 Tarifbotschafter*innen in der Tarifrunde für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes im vergangenen Jahr sind ein gutes Beispiel, das ist der Weg, den wir gehen müssen.

via ver.di: “Wir haben eine starke Kraft entwickelt” – 20 JAHRE VER.DI

siehe auch: Gewerkschaft Verdi wird 20 Jahre alt. :Geburtstag in schwierigen Zeiten . Die Ver.di feiert am Freitag ihr 20-jähriges Bestehen. Haben sich die einst hochfliegenden Hoffnungen in die Dienstleistungsgewerkschaft erfüllt? Als die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, kurz Ver.di, im März 2001 nach langen vorbereitenden Diskussionen schließlich aus der Taufe gehoben wurde, herrschte unter den Delegierten des Gründungskongresses eine gewisse Euphorie. Der Gründungsvorsitzende Frank Bsirske schwor die Delegierten auf eine neue gewerkschaftliche Politik und Organisationskultur ein, auf Solidarität in der Vielfalt, auf eine politische, offenere, diskussionsfreudige Gewerkschaftsarbeit: „Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – wegen Umbau geöffnet!“ Seine Aufforderung wurde mit frenetischem Jubel aufgenommen. An diesem Freitag feiert Ver.di nun – coronabedingt rein digital – ihren 20. Geburtstag. Was ist geblieben von den hochfliegenden Hoffnungen des Anfangs? Haben sich die Verheißungen des neuen Vorsitzenden in den nachfolgenden 20 Jahren, in den Mühen der alltäglichen gewerkschaftlichen Arbeit realisiert?

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