Als deutsche Partei für Recht und Ordnung, so inszeniert sich die AfD gern. Ein Blick in die Praxis zeigt: Das Gegenteil stimmt. „Wir vertreten hier das Grundgesetz und Herr Haldenwang steht außerhalb des Grundgesetzes“, erklärte AfD-Co-Chef Tino Chrupalla selbstsicher auf dem Magdeburger Parteitag Anfang August und griff damit den Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz an. Die Partei als Retter und Bewahrer eines angeblich aus den Fugen geratenen Rechtsstaats zu stilisieren, ist ein bei Rechtspopulisten beliebter und häufig praktizierter argumentativer Kniff. Dieses Verdrehen der Realität zu entlarven, fällt meist leicht. Einen Tag später plädierte Irmhild Boßdorf, auf Platz 9 der AfD-Kandidatenliste für die Europawahl 2024, für eine „millionenfache Remigration und Pushbacks, egal was der Europäische Gerichtshof dazu sagt“. Diese offene Aufforderung, ein Urteil des höchsten Europäischen Gerichts zu missachten, ist ein eklatanter Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Bindung an Gesetze. Er verrät ein gebrochenes Verhältnis zu rechtsstaatlichen Prinzipien. Im öffentlichen Echo auf den Magdeburger Parteitag, auf dem die AfD sich so offen radikal wie noch nie gezeigt hat, tauchte die Haltung der Partei zum Rechtsstaat nur am Rande auf. Im Scheinwerferlicht von Politik und Medien dominierten ihr ethnisch geprägtes Volksverständnis, Fremden- und Islamfeindlichkeit, demokratie- und europafeindliche Äußerungen sowie Kritik am militärischen und wirtschaftlichen Engagement der Bundesrepublik für die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression. „Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze“ Ein Punkt erfährt hingegen zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit: die Haltung der AfD zum Rechtsstaat. Auch der Magdeburger Extremismusforscher Matthias Quent erkennt dieses Defizit: Die „Rechtsstaatsverstöße der AfD sind in Wissenschaft, Politik und Medien unterbewertet“. (…) Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sind tragende Säulen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das Rechtsstaatsprinzip soll die öffentliche Gewalt zum Schutz der Grundrechte begrenzen, die Bindung an Gesetze und Recht und ihre Kontrolle durch unabhängige Gerichte garantieren sowie einen effektiven Rechtsschutz und das Gewaltmonopol des Staates verbürgen. Ob die AfD hinter diesen Grundsätzen steht oder ihre Akzeptanz und Bindungswirkung im Rahmen verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch Verächtlichmachung und Diffamierung untergräbt, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz untersucht. Dazu wurden drei Rechtsgutachten erstellt, in denen die Gesamtpartei, die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative und der rechtsextremistische AfD-„Flügel“ analysiert wurden. Die Gutachten liegen der taz komplett oder in Teilen vor. Alle enthalten ein gesondertes Kapitel zum „Rechtsstaatsprinzip“ und sind „VS-Vertraulich“ gestempelt. Als Law-and-Order-Partei greift die AfD den Rechtsstaat nie direkt an. Ihre Methode sei vielmehr, so das Bundesamt für Verfassungsschutz, „durch Übertreibungen und Verzerrungen wiederholt ein Schreckensbild über den Zustand des Rechtsstaats zu zeichnen“. Nach Meinung der Verfassungsschutzjuristen zeichnet sich die „Programmatik“ der Jugendorganisation „durch eine drastische Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze, insbesondere des Gewaltmonopols des Staates und der Rechtsbindung der Verwaltung aus“.
via taz: Die AfD und der Rechtsstaat :Von wegen Law and Order