Björn Höckes einst so mächtiger Flügel im Osten ist kein Treiber mehr. Auf dem Parteitag in Magdeburg setzt sich eine neue Generation durch – nicht weniger radikal, aber mit anderem Stil. Alice Weidel spricht langsam und bedacht. Sie klingt stolz an diesem Sonntagmorgen vor den mehr als 500 Delegierten in der Magdeburger Messehalle. “Ich habe die ganz große Ehre zu verkünden, dass aus den zwei Präambel-Entwürfen einer geworden ist”, sagt die AfD-Chefin. “Dass sich die Beteiligten in ihrem Fleiß einigen konnten.” Fünf Tage lang hat die AfD da schon über ihr Personal für die Europawahl diskutiert, 35 Kandidaten hat sie auf ihre Liste gesetzt. An diesem Sonntag, dem letzten Tag ihrer Europawahlversammlung, geht es zum ersten Mal um das Programm. Und um die umstrittene Präambel, das Vorwort. Viele Parteibeobachter, auch viele AfD-Delegierte, hielten vorab für diesen Tag den großen Knall für möglich, eine Eskalation auf offener Bühne – wie so oft bei vergangenen Parteitagen. (…) Ein Kraftakt hinter den Kulissen war nötig und viele, viele Absprachen im Hinterzimmer. Die AfD propagiert zwar, sie wolle es nicht wie die Altparteien machen. In Magdeburg aber tat sie genau das – und das zum ersten Mal mit einigem Erfolg. “Die AfD ist erwachsen geworden”, so oder ganz ähnlich formulieren es am Sonntag die Parteichefs Weidel und Tino Chrupalla sowie EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah. Zuerst einigte sich die AfD an vier Tagen und zwei Wochenenden auf eine Personalliste, die so radikal, so völkisch wie nie ist. Sie lotete im Kampf um die heiß begehrten ersten Listenplätze, die Mandat, ein hohes Gehalt und viel Personal sichern, die innerparteilichen Machtverhältnisse aus. Dann erst einigte sie sich auf ein Programm. In der Personaldebatte wurde Höcke mehrfach abgestraft, immer wieder wurde deutlich: Er kann nicht mehr selbstverständlich auf Mehrheiten setzen. Das einst auf Parteitagen so einig auftretende Höcke-Lager, das der Thüringer mit einer Meldung am Mikrofon geschlossen hinter sich wissen konnte, gibt es nicht mehr. “Höcke hat kassiert”, so fasst es einer in der Halle zusammen. Nicht wenige hier sehen das mit Genugtuung. Die “große Höcke-Show” auf Parteitagen, sie geht einigen schon lange auf die Nerven. Diesmal dominieren neue Kräfte, eine neue Generation an Rechten: Der 34 Jahre alte Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz, der Parteichefin Weidel nahesteht, hat lange im Voraus Absprachen mit Verbänden in Ost wie West getroffen. Hinter den Kulissen bereitete der Bundestagsabgeordnete mit Mitstreitern eine Personalliste vor, die konsensfähig auch für viele in Höckes Lager ist, warb parteiintern Monate im Voraus für seine Kandidaten in der gesamten Republik. Mit großem Erfolg: Von den ersten 16 gewählten Kandidaten, die die größten Chancen haben, ins EU-Parlament einzuziehen, stehen 13 auf der Münzenmaier-Liste, die t-online vorliegt. Diese Kandidaten sind nicht weniger radikal als Höckes Leute. Unter ihnen finden sich Spitzenkandidat Maximilian Krah, der für einen offen radikalen Kurs der AfD wirbt, der Putin-Freund Petr Bystron (Platz 2), der Burschenschaftler Alexander Jungbluth (Platz 5) und die tief in die rechtsextreme Identitäre Bewegung vernetzte Irmhild Boßdorf (Platz 9). Insgesamt wirkten die Kandidaten der AfD an beiden Wochenenden wie entfesselt: Einige Bewerber auf der Bühne tauchen in Berichten des Verfassungsschutzes auf, gegen nicht wenige führen oder führten die Behörden Verfahren. Viele hielten Reden, die von Schlagworten aus der rechtsextremen Szene nur so strotzten und die der Verfassungsschutz fleißig notieren dürfte. Untersuchungshaft für EU-Kommissionschefin von der Leyen und Olaf Scholz wurde da gefordert – oder beinahe unverhohlen nationalsozialistisches Vokabular verwendet. Weidel und Höcke diskutieren bis in die Nacht Bei der Diskussion ums Programm aber war mit den Personalerfolgen für das Münzenmaier-Lager klar: Höcke kann sich nicht leisten, es mit dem Kopf durch die Wand zu versuchen. Bei seinem Präambel-Antrag musste er trotz bekannter Mitstreiter um eine Mehrheit fürchten.

via t-online: AfD-Parteitag – Das Aus für die “Höcke-Show”

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