Mit dem “Einzelfallticker” will die AfD das angeblich “wahre Ausmaß” der von Migranten begangenen Straftaten aufzeigen. Doch eine Stichprobe zeigt: Bei der Hälfte der Fälle gibt es keine Hinweise zur Herkunft des Tatverdächtigen. Eine interaktive Deutschlandkarte der AfD soll eindrücklich die Gewaltdelikte durch Migranten in Deutschland visualisieren. “Dinkelsbühl: Aggressiver Messer-Mann leistet Widerstand gegen Polizeibeamte”, “Wuppertal: Raubüberfall auf Tankstelle mit Gaspistole”, “Mannheim: Wertgegenstände aus verschlossenem Spind in Schwimmbad entwendet” – lauten einige Überschriften von Fällen des “Einzelfalltickers”, den die Partei seit Ende Februar betreibt. Laut Stephan Brandner, stellvertretender AfD-Bundessprecher, übernehme die Partei mithilfe des Tickers “die Rolle des objektiven Aufklärers, nachdem die eigentlich dafür zuständigen Medien dazu überwiegend schweigen oder verschleiern”. In einer Pressemitteilung der Partei heißt es: “Mit dem Einzelfallticker will die AfD zeigen, dass das wahre Ausmaß der Zunahme von Gewaltdelikten durch Migranten erst mit einem Blick auf den Einzelfallticker sichtbar wird.” Hinter den einzelnen Meldungen würde die Verrohung der Gesellschaft stehen. Schaut man sich die einzelnen Meldungen der Fälle an, haben diese jeweils eine verlinkte Quelle zu dem betreffenden Fall – meistens handelt es sich dabei um eine Polizeimeldung. Welche Meldungen nach welchen Kriterien in den Ticker mit aufgenommen werden, wird auf der Website des Tickers nicht erwähnt. Die AfD schreibt dazu auf Anfrage des ARD-faktenfinders, es sei ihr “hinsichtlich der offiziellen Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 an Transparenz gelegen”.Anders schätzt dies Pia Lamberty, Sozialpsychologin und Geschäftsführerin des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), ein. Einen Ticker mit der Intention zu starten, aufzeigen zu wollen, wie gefährlich Menschen seien, die die AfD als nicht deutsch markiert, sei keineswegs eine “Rolle des objektiven Aufklärers”. “Das ist quasi das Gegenteil einer ergebnisoffenen Untersuchung und das Gegenteil von Objektivität”, sagt Lamberty.”Eine kritische Auseinandersetzung mit Kriminalitätsstatistiken ist an sich eine gute Sache. Sie sollte aber faktenbasiert stattfinden und nicht zum politischen Instrument werden. Der ‘Einzelfallticker’ ist hingegen nichts anderes als Propaganda”, so die Sozialpsychologin. Der Ticker halte in keinster Weise einer wissenschaftlichen Methodik oder fachlichen Expertise stand, in der auf Basis von objektiv nachprüfbaren Kriterien Fälle eingeordnet würden und eben in einem Kontext gestellt werden würden. (…) Eine Stichprobe des ARD-faktenfinders hat die Meldungen des AfD-Tickers mit den ihnen zu Grunde liegenden Quellen hinsichtlich der Angaben zur Nationalität oder Migrationshintergrund abgeglichen. Diese Datenbasis spiegelt folgendes: Von insgesamt 171 untersuchter Meldungen im Zeitraum vom 27. Mai bis zum 27. Juni liefert knapp die Hälfte keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Tatverdächtige Ausländer ist oder einen Migrationshintergrund hat.Lediglich bei 35 Fällen wird eine Nationalität genannt, in 33 Fällen handelt es sich um ausländische Staatsangehörige, in zwei Fällen wird der Tatverdächtige explizit als Deutsch ausgewiesen. Die Nennung der Nationalität der Tatverdächtigen ist allerdings für die Polizeibehörden optional und wird unterschiedlich gehandhabt.

via tagesschau: FAKTENFINDER Migration und Kriminalität Zweifel an Aussagekraft des AfD-“Einzelfalltickers”