Im thüringischen Sonneberg hat am 25. Juni 2023 zum ersten Mal seit 1945 eine offen völkisch-nationalistische Partei eine Landratswahl gewonnen: Der AfD-Kandidat Robert Sesselmann erhielt in der Stichwahl gegen CDU-Kandidat Jürgen Köpper 53 Prozent der Stimmen. Es ist ein erschütternder Moment in der deutschen Nachkriegsgeschichte, aber leider kein überraschender – genauso wenig überraschend sind die Reaktionen aus großen Teilen der CDU/CSU und FDP auf den Sieg des AfD-Kandidaten. Nachdem Mitglieder beider Parteien in den letzten Monaten vermehrt rechte „Kulturkampf“-Narrative und Framings aufgegriffen hatten, könnte man meinen, dass die erste Wahl eines AfD-Politikers zum Landrat zu politischer Introspektion anregt oder zur internen Schuldsuche, wie man selbst zu dem Debakel beigetragen hat – beispielsweise durch das Mainstreaming rechter Erzählungen. Das Gegenteil ist der Fall: Stattdessen suchen Vertreterinnen von CDU/CSU und auch der FDP die Schuld anderswo – nämlich links von sich selbst. Sie sehen die Schuld für den Erfolg der AfD bei dem, was sie gern „Identitätspolitik“, „politische Korrektheit“, „Wokeismus“ oder „Kulturkampf“ von links nennen. Damit wird das Ja zu rechtsextremer Politik als eine Art Notwehr dargestellt. Die Bundestags-Abgeordnete Katja Adler (FDP) twitterte: „Wer den Menschen nicht zuhört, ihre möglicherweise nicht unbedingt linke oder grüne Meinung gern als rechtsradikal framt, Wähler als Nazis oder Idioten beschimpft und ihnen am Ende sogar Demokratieverständnis abspricht, wundert sich ernsthaft noch, dass genau diese Menschen genau jenes Mittel nutzen, das ihnen in unserer Demokratie bleibt? Sie stimmen ab. #Sonneberg“ Diese Position ist letztlich nur die neue, tweet-gewordene Version des Kemmerich-Handschlags mit Höcke – der Kniefall vor und die Übernahme der rechten Erzählung davon, dass Rechtsextremismus der Normalfall sei, das, was „normale“ Menschen, „echte“ Bürgerinnen, „echte“ Deutsche denken – und alles, was der Rechtsextremismus hasst und zu zerstören sucht – Toleranz, Pluralität, Achtung der Menschenwürde und Menschenrechte – weinerliches Mimimi von linken Schneeflocken und totalitäre Meinungsdiktatur in einem sei. (...) In Merz’ Aussagen zeigt sich, was hinter dem Narrativ steht, die Bundesregierung sei mit ihrer angeblich radikalen Politik Schuld daran, dass unbescholtene Bürger*innen Rechtsextreme wählen: Die klassische Erzählung rechter Kulturkämpfer, die die Unterstützung rechter, völkischer Politik als eine Art Notwehrreaktion darstellt. Es ist ein rhetorischer Trick: Wer gegen marginalisierte Gruppen hetzt, ihnen ihre Rechte aberkennen will, stellt das lieber als defensiven Akt dar und gaukelt so vor, es handle sich um eine passive Reaktion, in die man gedrängt worden sei.
via volksverpetzer: WIE DER RECHTE KULTURKAMPF VON MERZ & CO. DAS NÄCHSTE SONNEBERG VORBEREITET