Sexuelle Gewalt im Ukraine-Krieg: Warum Lyudmila Denisova ihren Job verlor – und wie die russische Propaganda das ausnutzt

Ende Mai hat das ukrainische Parlament die Menschenrechtsbeauftragte Lyudmila Denisova entlassen. Sie habe unangemessen über Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt durch russische Soldaten an Zivilisten gesprochen. Einige für Desinformation bekannte deutschsprachige Webseiten werfen ihr vor, die Fälle schlichtweg erfunden zu haben. Was ist dran an den Vorwürfen? Am 31. Mai sprach das ukrainische Parlament der Menschenrechtsbeauftragten Lyudmila Denisova das Misstrauen aus. Immer wieder hatten deutsche und internationale Medien ihre erschütternden Berichte über Menschenrechtsverletzungen, sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen ukrainischer Zivilisten durch russische Soldaten aufgegriffen. Darunter Schilderungen über die Vergewaltigung von Säuglingen, über die Massenvergewaltigung von zwei Dutzend Frauen in einem Keller und über den Missbrauch und die Folter eines Mannes, der sein Versteck verlassen hatte, um Wasser zu holen.  In der Ukraine kritisierten Medienschaffende und Menschenrechtsaktivisten Denisovas detaillierte Berichte zu sexueller Gewalt als unangemessen und unethisch. Doch die Vorwürfe gehen noch weiter, befeuert von Russland und deutschsprachigen Webseiten, die seit Wochen aus pro-russischer Sicht über den Krieg in der Ukraine berichten und immer wieder Desinformation zum Thema verbreiten. Direkt nach ihrer Entlassung behauptete die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, in einem Telegram-Beitrag, dass Denisova entlassen wurde, weil sie Falschmeldungen über „angebliche Vergewaltigungen ukrainischer Bürger durch das russische Militär“ verbreitet habe. Wenig später griffen deutschsprachige Webseiten das russische Narrativ auf. Die Nachdenkseiten titelten: „Ukrainische Menschenrechtskommissarin stürzt über erfundene ‚Massenvergewaltigungen‘“. Im Text heißt es, Denisova habe sich „die meisten Schilderungen schlichtweg ausgedacht“ und sei daher entlassen worden. Ähnlich berichtete Report24. Der Anti-Spiegel behauptete sogar: „Alle Meldungen über Vergewaltigungen durch russische Soldaten waren frei erfunden“. (…) Auf Facebook schrieb der ukrainische Abgeordnete Pavlo Frolov unter anderem, Denisova habe ihre Amtspflichten vernachlässigt, weil sie keine humanitären Fluchtkorridore eingerichtet und sich nicht für den Austausch von Gefangenen eingesetzt habe. Außerdem habe sie sich bei ihrer Arbeit zu sehr auf die anschauliche Schilderung von Fällen sexueller Gewalt konzentriert, für die sie keine Beweise vorgelegt habe. Das schade dem Ansehen der Ukraine. Vorwürfe zu erfundenen Fällen beziehen sich auf ein Interview Denisovas, dort sagt sie etwas anderes Nachdenkseiten, Anti-Spiegel und Report24 verweisen als vermeintlichen Beleg, dass Denisova sich die Fälle sexueller Gewalt ausgedacht habe, auf ein Interview, das Denisova wenige Tage nach ihrer Entlassung gab. Darin habe sie „zugegeben“, dass ihre Aussagen über sexuelle Gewalt „erfunden sein könnten“, schreibt Report24.  Das Interview, um das es geht, veröffentlichte die ukrainische Nachrichtenseite LB.ua am 3. Juni. Darin räumt Denisova ein, für die Schilderung von Fällen sexueller Gewalt eine zu anschauliche Sprache verwendet und vielleicht „übertrieben“ zu haben, um die Welt aufzurütteln. Das Vokabular sei „hart gewesen“, sie habe aber nur wiedergegeben, was die Psychologen, die bei ihrer Hotline arbeiteten, ihr geschildert hätten.  Dass sie Vorfälle erfunden habe, sagt Denisova in dem Interview nicht. (…) Die Zweifel an der Arbeit Denisovas sind jedoch kein Beleg, dass es keine sexuelle Gewalt durch russische Soldaten in der Ukraine gab oder gibt. Viele andere Organisationen haben diese dokumentiert. Am 6. Juni sprach Pramila Patten in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats über 124 Berichte von mutmaßlichen Vorfällen sexueller Gewalt: darunter Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung, erzwungenes Entkleiden und angedrohte sexuelle Gewalt. Die Fälle würden derzeit noch verifiziert.  Die UN-Monitoring-Mission für Menschenrechte berichtete bereits im Mai von Fällen in Vororten von Kiew. Mitarbeitende hätten 14 Städte in den Regionen Kiew und Tschernihiw besucht und mit Menschen vor Ort gesprochen. Immer wieder gebe es Berichte über sexuelle Gewalt gegen Zivilisten. In einem Bericht vom 29. Juni heißt es, die Monitoring Mission habe 23 Fälle sexueller Gewalt bestätigen können. Der Großteil der Fälle sei in von Russland kontrollierten Gebieten begangen worden. Viele Betroffene hätten laut Bogner Angst, Stigma zu erfahren und erzählten nur widerstrebend von dem, was sie erlebt hätten.

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