Das Leben bei der Polizei ist nicht ungefährlich. Trotzdem muss man bei Zahlen zur Gewalt gegen Beamte aufpassen. Vor allem, wenn sie zeigen sollen, dass die Linke durchdreht. In dem Berliner Hausprojekt »Rigaer 94« hat eine Brandschutzbegehung zu einem größeren Polizeieinsatz geführt. Das Gute zuerst: Es wurden keine groben Mängel festgestellt. Es gibt jetzt wohl zwar einen Mangel an einer Haustür, weil die Polizei zum Reinkommen unter anderem eine Motorsäge benutzte, aber der Brandschutz scheint noch okay zu sein. So weit das Gute. Nun das Schwierige: Im Vorfeld des Einsatzes einen Tag zuvor wurden über 60 Polizisten verletzt. Oder sagen wir: Über 60 Polizisten meldeten Verletzungen. Zu den Feinheiten der Formulierungen später mehr. (…) Zum Vergleich: Vor rund einem Monat wurden bei Ausschreitungen am Rande eines Heimspiels von Dynamo Dresden 185 Polizeibedienstete verletzt, 30 waren danach erst mal dienstunfähig, elf mussten ins Krankenhaus. Plus Angriffe auf die Presse. Medien- und Politikreaktionen: gering. Offener Brief von Steinmeier: keiner, soweit bekannt. Oder, noch ein Vergleich: Bei einer Berliner Querdenker-Demo wurden im November 77 Polizisten verletzt. Überhaupt werden auf Querdenker-Demos immer wieder Polizeibedienstete verletzt, aber es gibt selten einen so großen Aufschrei wie bei linken Demonstrationen oder Politiker und Medien, die von »Terroristen« oder »Bürgerkrieg« sprechen. Wenn es um linke Gewalt gegen die Polizei geht, ist die Aufmerksamkeit stets groß und oft mit der Beobachtung verbunden, dass die Gewalt gegen die Polizei generell zunehme und/oder Linksradikale oder Linksextreme immer hemmungsloser würden. Grund genug, sich einmal anzuschauen, was »verletzte Polizisten« eigentlich bedeutet. Nicht um die Gewalt zu verharmlosen, sondern um die Zahlen besser zu verstehen. Denn: Die Polizei konkretisiert diese Angaben meist nur auf Anfrage und unterscheidet in ihren Meldungen üblicherweise nicht nach Art der Verletzung und nicht danach, ob es sich um Fremdeinwirkung handelt. Das Problem: Ein Polizist gilt auch als »im Dienst verletzt«, wenn er sein eigenes Pfefferspray einatmet, gegen eine Glastür läuft oder über seine eigenen Füße stolpert. Das macht bürokratisch Sinn, aber es verzerrt natürlich auch das Bild (…) Unlaienhaft ausgedrückt: Ina Huneke, hauptamtliche Dozentin an der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung in Altenholz, Fachbereich Polizei, schreibt 2014 in einem Aufsatz, es bleibe »unklar, was mit Gewalt gegen Polizeibeamte gemeint ist«. Bei »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte« könne es sich um einen massiven Angriff, aber auch um »ein kurzes Aufbäumen, die kurzfristige Weigerung zur Befolgung der polizeilichen Anweisung« handeln. Auch schreibt sie: »Die Aussage ›Gewalt nimmt zu und wird immer brutaler‹ wird medienwirksam ohne wissenschaftliche Fundierung kundgetan.« Die Medien würden sich auf die Thematik »Gewalt gegen Polizeibeamte« gerne einlassen, ohne etwa zwischen Widerstand, Beleidigungen und körperlichen Angriffen zu unterscheiden. Beleidigungen oder verbale Angriffe gelten aber im Zweifel eben auch als Gewalt, und das ist natürlich auch richtig, man sollte aber auch wissen, dass sie in die Statistik miteinfließen können und einen Teil der viel diskutierten »Gewalt gegen Polizisten« ausmachen können. Beleidigungen können verletzend sein, allerdings kostet es auch 200 Euro Strafe, einen Polizisten »du Mädchen!« zu nennen.
via spiegel: Gewalt gegen die Polizei – Verletzte und verletzende Polizisten