Beim Terroranschlag von Hanau ermordete ein Mann aus rassistischen Motiven neun Menschen. Die Ermittlungen werfen Fragen auf: Wie kam der Täter an die Waffen? Gingen Notrufe ins Leere? Warum war der Notausgang am Tatort geschlossen? Als ein rassistischer Attentäter am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen ermordete, war der polizeiliche Notruf überlastet und nicht ausreichend besetzt. Das zeigen Recherchen des SPIEGEL, des ARD-Magazins »Monitor« und des Hessischen Rundfunks. Zahlreiche Zeugen kamen unter der Notrufnummer 110 nicht durch, darunter ein späteres Opfer. Die Ermittlungsakte der Bundesanwaltschaft dokumentiert zudem, wie der Täter, obwohl psychisch krank und polizeibekannt, über die Jahre drei waffenrechtliche Berechtigungen ausgestellt bekam. Für seinen Amoklauf brauchte Tobias Rathjen, 43, etwa fünf Minuten. Er tötete drei Menschen in der Innenstadt, fuhr zweieinhalb Kilometer nach Hanau-Kesselstadt und erschoss sechs weitere Menschen. Eines der Opfer war Vili-Viorel Paun, 22. Mit seinem Mercedes versuchte Paun, Rathjens BMW zuzuparken, raste ihm nach Kesselstadt hinterher, rief von unterwegs dreimal die Polizei an. Er kam nicht durch. Rathjen tötete Paun mit drei Schüssen durch das Fenster der Fahrertür auf dem Parkplatz vor der Arena Bar. (…) Die Pistolen, mit denen Tobias Rathjen mordete, besaß er legal. Zwei hatte er gekauft, eine in einem Waffengeschäft ausgeliehen. Zugriff auf Waffen darf in Deutschland nur haben, wer niemanden gefährdet. In Wirklichkeit ergab eine Anfrage der Grünen im Bundestag, dass 750 Rechtsextremisten und rund 500 Reichsbürger im Jahr 2019 Waffenbesitzkarten hatten. Rathjen war bis kurz vor seinem Tod nicht öffentlich als Rassist aufgefallen. Allerdings hatte er dreimal wahnhafte Anzeigen gestellt. Posthum diagnostizierte man bei ihm paranoide Schizophrenie. Hat in seinem Fall die Waffenbehörde versagt? Das Gesundheitsamt? Das erste Mal fiel Rathjen den Behörden im Januar 2002 auf. Damals rief er im Polizeipräsidium Oberfranken an und sagte, er müsse eine Vergewaltigung anzeigen. Es handele sich um eine »psychische Vergewaltigung«, das Opfer sei er selbst, er werde »durch die Wand und durch die Steckdose abgehört, belauscht und gefilmt«.
Rathjen wurde zum Gesundheitsamt eskortiert, ein Amtsarzt diagnostizierte eine »Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, paranoide Inhalte« und empfahl eine sofortige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Rathjen rammte daraufhin einen Polizisten mit dem Kopf, stürmte aus dem Zimmer, erst im Erdgeschoss konnten ihn vier Beamten zu Boden bringen. Rathjen wurde in Handschellen ins psychiatrische Krankenhaus gebracht. Man rief Rathjens Vater an, der engagierte einen Anwalt. Am selben Abend entließ man Rathjen in die Obhut seiner Eltern. Auf dem Entlassungsformular wurde »ungeheilt« angekreuzt.
via spiegel: Mord an neun Menschen Attentäter von Hanau besaß zwei Waffenbesitzkarten – trotz Zwangseinweisung
Von <a href=”//commons.wikimedia.org/wiki/User:Lumpeseggl” title=”User:Lumpeseggl”>Lumpeseggl</a> – <span class=”int-own-work” lang=”de”>Eigenes Werk</span>, CC BY-SA 4.0, Link