Koalitionskrach und AfD-Debatte in Sachsen-Anhalt, Finanzierungsstreit zwischen Unionsfraktion und Ministerpräsidenten, ungelöste Führungsfrage – bei der CDU kommt gerade ein Problem zum nächsten. Die Parteispitze setzt auf öffentliche Zurückhaltung. Eigentlich hätte diese Woche etwas ganz anderes auf der Agenda gestanden. Eigentlich sollte dieser Freitag ein Höhepunkt werden für die CDU. Ein neuer Parteivorsitzender sollte gewählt werden auf dem Bundesparteitag und damit zumindest diese Personaldebatte mal ein Ende finden. Der Parteitag wurde wegen Corona verschoben. Und statt mit einem neuen Parteichef findet sich die CDU in einer angespannten Lage wieder, in der es gleich an mehreren Ecken gleichzeitig brennt. Zum Wettbewerb um den Parteivorsitz, der nun eben noch mindestens einen weiteren Monat anhalten wird, kommt eine Koalitionskrise in Sachsen-Anhalt, die das Zeug hat, auch die Bundes-CDU aus dem Tritt zu bringen – so wie im Februar die Thüringen-Krise: Nachdem dort der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten gewählt worden war, kündigte Annegret Kramp-Karrenbauer nach nur einem guten Jahr im Amt ihren Rückzug als CDU-Bundesvorsitzende an. Nun geht es nicht um einen Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen, sondern um die Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent im Monat. Außer Sachsen-Anhalt und Thüringen haben dem alle Bundesländer zugestimmt. Die CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt weigert sich. Die AfD ist begeistert – SPD und Grüne als Koalitionspartner der CDU entsetzt. Und das Entsetzen setzt sich in Teilen der Bundes-CDU fort. Dort hält man die erste Erhöhung seit Jahren für gerechtfertigt, man fürchtet um eine Beschädigung des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff ein halbes Jahr vor der Landtagswahl und vor allem um ein Abdriften der Landes-CDU Richtung AfD – weil auch zentrale Figuren dort einem Bündnis mit der zum Rechtsextremismus neigenden Partei nicht abgeneigt seien. Eine „extrem heikle Angelegenheit“ sei das Ganze, sagt ein führender CDU-Politiker. Die Nochparteichefin äußert sich dazu nicht offen. In Thüringen hat sich gezeigt, dass Einmischungen aus der Parteispitze nicht unbedingt eine Lösung bringen – und Kramp-Karrenbauers Autorität ist weiter gesunken, seit klar ist, dass sie ihr Amt bald abgeben wird.

via rnd: Chaostage in der CDU

siehe auch: Der Machtkampf in der CDU Sachsen-Anhalt eskaliert. Ministerpräsident Reiner Haseloff entlässt seinen Innenminister Holger Stahlknecht. Die Landes-CDU ist im Richtungskampf verbissen. Haseloff will die Kenia-Koalition retten, Stahlknecht blinkt Richtung AfD. Die Landesregierung in Sachsen-Anhalt steht wegen des Streits über höhere Rundfunkgebühren vor dem Aus – und der CDU-Landeschef, das war Holger Stahlknecht bis Freitagabend, redet von Zitronen. „Mittlerweile sind wir doch so weit, dass bei einer geselligen Runde Zitronen ausgegeben werden müssen, damit bei einem politisch verunglückten Witz jeder, der vielleicht geneigt ist, zu lachen, vorsorglich in die Zitrone beißt“, beklagt sich Stahlknecht in der Magdeburger „Volksstimme“. Und er ergänzt: „Ich beobachte mit Sorge, dass wir zunehmend eine von einer intellektuellen Minderheit verordnete Moralisierung erleben.“ Zu dieser Minderheit gehörten auch ARD und ZDF, meint Stahlknecht: „Die Öffentlich-Rechtlichen berichten gelegentlich nicht auf Augenhöhe, sondern mit dem erhobenen Zeigefinger der Moralisierung.“ Damit ist klar: Der CDU in Sachsen-Anhalt geht es längst nicht mehr nur darum, durch ein Nein zum Staatsvertrag 86 Cent höhere Rundfunkgebühren ab 2021 zu verhindern. Stahlknecht und seine Mitstreiter in der Fraktion kämpfen gegen einen aus ihrer Sicht zu linken, zu westdeutschen und zu teuren Rundfunk. Ein Umkehren scheint unmöglich: „Die CDU wird ihre Position nicht räumen“, sagt Stahlknecht knapp. Er droht offen mit einem Bruch der Kenia-Koalition mit SPD und Grünen und stellt eine Minderheits­regierung in Aussicht. Die AfD stellt schon Bedingungen für eine Tolerierung. Dazu gehörten die „Abschiebung aller ausreisepflichtigen Ausländer“ und kostenfreies Schulessen bis zur vierten Klasse, sagt Fraktionschef Oliver Kirchner.
Der Ministerpräsident schweigt – dann handelt er Ministerpräsident Reiner Haseloff schweigt einen halben Tag lang. Dann aber wird deutlich: Stahlknecht hat nicht nur von Zitronen gesprochen, sondern mit solchen gehandelt. Haseloff entlässt seinen Innenminister per Pressemitteilung. Dieser habe die Bemühungen, die Koalition zu retten, beschädigt. Das Vertrauensverhältnis sei dadurch „so schwer gestört, dass er der Landesregierung nicht weiter angehören kann“. Haseloff hat seine letzte Chance genutzt. Am Abend kündigt Stahlknecht an, kommenden Dienstag auch als Landeschef zurückzutreten, um “darüber hinausgehenden Schaden von meiner Partei, meiner Funktion, meiner Familie und mir abzuwenden”. Ob Haseloff den Machtkampf gewinnt, ist dennoch nicht klar. Am Mittwoch steht die vorentscheidende Abstimmung über den Rundfunkbeitrag auf der Tagesordnung des Medienausschusses in Magdeburg. Bleibt die CDU bei ihrem Nein, ist auch Haseloffs politische Zukunft zerstört.