Grablichter flackern auf den Stufen vor der Haustür an der Dresdner Straße im Freitaler Stadtteil Potschappel. Jemand hat Rosen hingelegt, ein ausgedrucktes Foto in einem Bilderrahmen zeigt einen 20-Jährigen. (…) Dienstag, gegen 17.30 Uhr: Einsatzfahrzeuge der Polizei, darunter gepanzerte Jeeps stehen mit blinkendem Blaulicht vor dem Haus. Polizisten mit schusssicheren Westen und eine schwer bewaffnete Sondereinheit sichern die Umgebung und dringen in das Gebäude ein. Mehrere Rettungswagen und die Feuerwehr fahren vor. Kurz zuvor war ein Notruf eingegangen. Ein junger Mann bittet um ärztliche Hilfe wegen einer Schussverletzung. Als die Beamten die Wohnung betreten, finden sie den schwer verletzten 20-jährigen Jean N., seinen Zwillingsbruder Jason und eine Pistole. Jean wird in ein Krankenhaus gebracht, Jason festgenommen. Nur wenige Stunden später erliegt Jean seinen Verletzungen. Der Schuss hatte ihn im oberen Bereich des Oberkörpers getroffen. (…) Offenbar hat sich eine Tragödie ereignet, deren Ausmaß nur langsam klar wird. Jason N. hat seinen Bruder wohl unter unglücklichen Umständen erschossen, jedoch bisher ohne nachweisbare Tötungsabsicht. Die Zwillinge hatten trotz ihres jugendlichen Alters bereits mehrfach mit der Justiz zu tun. Sie gelten als rechtsmotivierte Täter, die bisher nach Jugendstrafrecht beurteilt wurden. Alle Verfahren gegen den verstorbenen Jean N. seien wegen seines Alters eingestellt worden, sein Bruder hatte für Körperverletzung, Diebstahl und Propagandadelikten Arbeitsauflagen zu erfüllen. Die jungen Männer hatten offenbar beide in der Wohnung mit der Waffe hantiert, wobei sich der Schuss versehentlich gelöst haben könnte. Einen Streit oder andere Auseinandersetzungen soll es nicht gegeben haben. (…) Offen ist, ob die Waffe Sascha N., dem 41-jährigen Vater der Zwillinge gehörte. Polizisten durchsuchten nach dem tödlichen Schuss die Wohnung des Vaters in der Pestalozzistraße im Freitaler Stadtzentrum und vernahmen den Mann. Dort fanden sie ein Luftdruckgewehr, Patronen und einen Schalldämpfer. Sascha N. muss sich nun wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten. Sascha N. betreibt in der Nähe des Tatortes ein Tattoo-Studio, das wegen der Corona-Verordnung derzeit geschlossen, sonst aber auch eine Art Begegnungsort ist. Normalerweise sitzen Tätowierer und Kunden oft vor dem Studio und rauchen. Mitunter parkt dann auch ein älterer VW Passat-Kombi, bei dem die Typenbezeichnung am Heck fehlt – bis auf das „SS“ in der Mitte. Nach Angaben von Vertrauten hätten sich die Brüder Jean und Jason N. gemeinsam mit dem Vater seit 2015 rund um die Anti-Asyl-Proteste in Freital „engagiert“. In diesem Umfeld hatte sich auch die Terrorgruppe Freital radikalisiert. „Bei ausländerfeindlichen Sachen waren die immer ganz vorn mit dabei.“ Ein Zeuge sagt: „Der Vater hat seine Söhne mit seiner Neonaziideologie vergiftet.“ Mit Jean N. habe es ausgerechnet den Vernünftigeren getroffen. Der Vater der Zwillinge, der noch einen weiteren Sohn haben soll, wird der Freitaler Neonaziszene zugeordnet. Er soll Mitglied der Freitaler Rechtsrockband „Stahlwerk“ sein, die – ebenso wie ihre Plattenfirma Opos Records – vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft ist. Die Band hat vor ein paar Jahren eine CD auf den Markt gebracht, auf deren Cover ein Panzerkommandant der Waffen-SS abgebildet ist. Außerdem soll N. Verbindungen in die Rockerszene haben. Auch mit der rechtsextremistischen Musikgruppe „Sachsenblut“ ist Sascha N. aufgetreten. Zu den Konzerten nahm er schon früh seine Kinder mit. Fotos zeigen ihn und seine damals etwa 16-jährigen Zwillinge 2016 beim „Thüringentag der nationalen Jugend“ in Sömmerda, der von der NPD organisiert wird.

via sächsische: Tödlicher Schuss in Freital führt in die Neonazi-Szene